Gottfried Kinkel

 

Ich ging durch stille Abenddämmerungen,

Die stille Flur entschlummerte schon mählig,

Die Vögel hatten, da sie tausendkehlig

Die Sonn’ im Scheiden grüßten, ausgesungen.

 

Da hat ein hoher Klang sich aufgeschwungen

Von Abendglocken rings im Land vielzählig

Da fühlt’ ich mich im tiefsten Herzen selig

Und Thränen in’s Auge mir gedrungen.

 

O Glockenton, wie du an Gott zu denken

Uns aufrufst durch den trüben Erdenabend,

Will sich der Geist so ganz in Andacht senken.

 

Ein Ton nun klingt durch’s öde Weltgetriebe,

Das sehnsuchtsmüde Herz noch süßer labend:

O klinge fort, du Ruf der ew’gen Liebe!

 

 

 

 

 

Johann Gottfried Kinkel           Beim Tode meiner frommen Mutter Maria

1815 - 1882

I.

 

Du hast, o treue Mutter, uns verlassen,

Als winterlich die erste Flocke fiel,

Und mühten wir uns eifrig noch so viel,

Die Blumen fehlen – o die kalten, nassen

 

Herbstlichen Winde will ich immer hassen!

Die Blume, ihres Zornes hülflos Ziel,

Gab alle Blätter ihnen hin zum Spiel,

Und alle Farben machten sie erblassen.

 

Doch hast du redlich immerdar gerungen,

Und wenn gerecht wird sein der Kämpfer Sichtung,

Nicht ohne Kranz stehst du dann vor dem Throne!

 

Drum nehm’ ich Thränen, Schmerz, Erinnerungen

Und binde sie mit dunklem Band der Dichtung,

Dir also flechtend eine Liederkrone.

 

 

 

 

 

Johann Gottfried Kinkel           An die Meister           

1815 - 1882

Ihr scheltet mich, ihr Meister, unbescheiden,

Weil ich euch achte, weil ich’s nicht ertrage,

Daß meine Zunge Heuchelei euch sage,

Weil meine Rede stählern ist, nicht seiden.

 

Ihr scheltet mich, und ich? – ich muß es leiden!

Ich kann mein Wort nicht wägen auf der wage;

Drum, ob euch auch mein ehrlich Wesen plage,

Ich will und kann die Weise nicht vermeiden!

 

Eins aber wünsch’ ich, und ihr müßt es loben:

Daß mir auch einst, wie euch von mir geschehen,

Die Jünger Wahrheit sagen ohne Schonung.

 

Da mag sich denn mein wahrer Sinn erproben,

Dann mögt ihr meine Demuth doch ersehen –

Nennt’s Strafe ihr, ich nenn’ es kühn Belohnung!

 

 

 

 

 

Johann Gottfried Kinkel           Zehn Sonette an Johanna     

1815 - 1882

 

 

II.

 

Die Stille schwand! der Cirkus that sich auf,

Der Herold winkte: hei die Renner fliegen!

Gilt es zu siegen? männlich zu erliegen?

Frisch! Tod und Leben, beide stehn zu Kauf.

 

Und dich verlor ich in dem raschen Lauf:

wer kann in weichem Kindheitstraum sich wiegen,

So lang die Kraft er spannen muß zu siegen,

Der Gegner Schaar ihn noch umringt zu Hauf?

 

Umflogen ist die Bahn! Stolz blick’ ich um,

Langsamern Lauf nun gönnend dem Gespanne;

Nah ist das Ziel, die Gegner all zurück.

 

Doch jauchzen kann ich nicht: ich denke stumm,

Daß mich der Kampf gereift zum ersten Manne,

Auch hinter mir liegt fern der Jugend Glück!

 

 

VI.

 

„Die Nacht ist schrecklich, finster, kalt und bang,

Doch lieb’ ich sie; sie ist des Todes Schein;

Unendlich einsam bin ich und allein;

Wie draußen, schweigt im Innern jeder Klang.

 

„Da streck’ ich mich wie Leichen, starr und lang;

Die müden Hände faltend, dämmr’ ich ein –

So träum’ ich mich in meinen Todtenschrein,

Und über mir hallt dumpf der Priester Sang.

 

„Und also lieg’ ich, bis im wirren Hirn

Des Lebens letzter Funke mild verglimmt,

Und Eiseskälte mir bedeckt die Stirn.

 

„Dann spür ich Ruhe – Tod und Grab und Nacht

Gefühl und Denken, Lust und Noth verschwimmt,

Und ob mir waltet der Vernichtung Macht.“